«Rund 120 Mio. Menschen sind weltweit auf der Flucht, darunter sind ungefähr 40% Kinder und Jugendliche. Dieses Thema ist für euch deshalb sehr relevant», sagt die Mitarbeiterin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Schülerinnen und Schüler der 3. Oberstufe. Sie wird begleitet von mehreren Menschen aus verschiedenen Ländern der Welt. Ihnen gemeinsam ist ihre jahrelange Fluchterfahrung und die anschliessende Integration in der Schweiz. Damit verbunden sind nicht nur eindrückliche Fluchtgründe und gefährliche Fluchtrouten, sondern auch mühsame Behördengänge und administrative Hürden.
Joséphine ist 1994 im Alter von 14 Jahren aus ihrer Heimat Ruanda geflüchtet, denn dort herrschte Bürgerkrieg und es gab einen Völkermord an den Tutsi. Ihre Mutter war Ärztin und ihr Vater war Schulleiter, aber sie wurden genauso getötet wie die meisten ihrer Geschwister; überlebt haben nur Joséphine und eine ihrer Schwestern. Das Haus der Familie in Ruanda ist von den Rebellen zerstört worden. Auf der Flucht hat sie ihren Mann kennen gelernt. Sie wohnten jahrelang in einem Flüchtlingscamp und so fragt Joséphine die Schülerinnen und Schüler: «Was würdet ihr mitnehmen, wenn ihr von zu Hause weggehen müsstet? Wahrscheinlich euer Smartphone.» Am wichtigsten war der jungen Frau damals eine Büchse aus Aluminium, denn damit konnte sie unterwegs kochen, essen, trinken oder etwas transportieren; und eine leere Büchse werde einem auf der Flucht nicht gestohlen.
Mittlerweile ist Joséphine in der Schweiz definitiv angekommen, hat eine Ausbildung als Fachangestellte Gesundheit sowie eine Weiterbildung zur dipl. Pflegefachfrau absolviert, um in einem Alters- und Pflegeheim zu arbeiten. Ihre drei Kinder haben die Schulzeit bereits hinter sich, sie machten eine Berufslehre, arbeiten heute und bilden sich stetig weiter.
Die typischen Schweizerinnen und Schweizer beschreibt Joséphine als zurückhaltend, aber sehr hilfsbereit. Sie erwähnt ein afrikanisches Sprichwort: «Der Baum geht nicht zum Vogel, der Vogel muss zum Baum.» Damit will sie sagen, dass man sich als Geflüchtete selber um die Integration bemühen muss, die Sprache, Kultur und Regeln kennen lernen soll. Selbst kleine Dinge im Alltag waren für sie nach der Ankunft in der Schweiz neu: Früchte und Gemüse im Supermarkt selber auf die Waage legen, den Abfall trennen und rezyklieren oder die Art der Begegnung: Begrüsst man jemanden mit einem Händedruck, mit einer Umarmung oder nur mit einem Blickkontakt? Auf die Frage eines Schülers nach ihrem ersten Eindruck von der Schweiz sagte sie schmunzelnd: «Die Leute in der Schweiz bewegen sich sehr schnell, sie rennen eigentlich immer.»
Die Jugendlichen der 3. Oberstufe hörten sich die Fluchtberichte der verschiedenen Personen gespannt an und stellten interessante Fragen. Die Schule möchte mit solchen Thementagen einen Beitrag zum sozialen Frieden leisten, das gegenseitige Verständnis fördern und ein Bewusstsein für unterschiedliche Lebensgeschichten schaffen.